Mein Leben als Gast «Zaaaahle bitte!»

Ein Abend im angesagten Restaurant. Alles stimmt. Die Möblierung geschmackvoll, die Tische weiss gedeckt und weit genug auseinander, sodass man nicht zum unfreiwilligen Mithörer des Streits am Nachbartisch wird.

Die Beleuchtung dezent, aber hell genug, sodass sich die übersichtliche Speisekarte auch mit älteren Augen problemlos lesen lässt. Ein stimmiger Rahmen für ein exzellent abgestimmtes und mit perfektem Timing serviertes Menü, auch dank der kompetenten Weinempfehlung des unaufdringlichen, aber aufmerksamen Kellners.


Überhaupt: Die Bedienung! Fällt eine Gabel zu Boden, ist sie Sekunden später mit einer neuen zur Stelle. Sinkt der Pegel im Rotweinglas unter die 30-Prozent-Marke, füllt sie es unauffällig nach. Verlangt es jemanden nach mehr Würze, stehen Pfeffer und Salz wie hingezaubert neben dem Teller. Und haben alle am Tisch das Besteck parallel auf den Teller gelegt, beginnt sie unverzüglich mit dem Abräumen der leer gegessenen Gedecke und kehrt mit der Dessertkarte zurück. Ein Service also, wie man sich ihn wünscht und in den Fine To Dine-Restaurants auch in Corona-Zeiten bekommt.


So lange jedenfalls, bis am Tisch jemand die Frage «Wämmer zahle?» in die Runde wirft. Das ist jener Moment, wo der vorher omnipräsente dienstbare Geist im Erdboden verschwindet und nicht mehr auftaucht. Und sieht man ihn dann nach einer gefühlten Ewigkeit ein paar Tische weiter mit drei Tellern vorbeihuschen und macht mit hektischem Winken und lauten «Könnte mr bitte zaahle?»-Rufen auf sich aufmerksam, bekommt man zwar ein freundliches «Bin gleich bei Ihnen!» zugerufen. Aber eine weitere Ewigkeit lang keine Rechnung.


Mein Leben als Gast hat gezeigt: Wer nichts mehr bestellen will, rutscht auf der To-do-Liste einer beschäftigten Servicefachperson automatisch auf die letzte Position. Aus diesem Grund bevorzuge ich das Inkasso-Modell, das in anderen Ländern und Kulturen längst gang und gäbe ist. Dort folgt dem Entschluss zum Aufbruch kein quälendes Warten aufs Zahlenkönnen, sondern der Gang zum Guichet der Patronne, die flink die Konsumationsbons zusammenzählt und einkassiert.           


Roger Thiriet